Bereits letztes Jahr wollte ich gerne zum Nachhaltigkeitscamp Karlsruhe, da passte es zeitlich nicht. Umso mehr freute ich mich nun auf den Besuch vom #Ncamp17, das am 20.05.2017 in der Karlshochschule in Karlsruhe stattfand, als mein allererstes Barcamp.
Barcamp in der Karlshochschule Karlsruhe: Buntes Programm mit interaktiven Sessions
Das Nachhaltigkeitscamp fand zum zweiten Mal in der Karlshochschule statt: Über 250 Besucher diskutierten knapp acht Stunden über verschiedenste Themen rund um Nachhaltigkeit und Auswirkungen der Digitalisierung. Das Motto des Tages lautete: Das Nachhaltigkeitscamp ist das, was Ihr draus macht!
Bei einem Barcamp können alle Teilnehmer das Programm aktiv nach ihren Wünschen mitgestalten. Zu Beginn der Veranstaltung fasste André Reichel, Mitorganisator und Professor für Nachhaltigkeitsmanagement an der Karlshochschule, in seiner Begrüßung die Relevanz der Veranstaltung zusammen: „Nachhaltigkeit, das ist ko-kreatives und kollaboratives Wirtschaften, mit sozialem und ökologischem Mehrwert. Und nur mithilfe dieser Nachhaltigkeit können wir unsere Gesellschaft auch weiterhin so führen.“ (Nachhaltigkeitscamp)
André Reichel: Sustainability 4.0 – Auf dem Weg in die Mitmach-Gesellschaft
André Reichel beschrieb die vierte industrielle Revolution als einen Fortschritt der Automatisierung, nur eben mit neuen Mitteln. Die Digitalisierung sehe er nicht, wie meist dargestellt, als technisches Phänomen, sondern eher als ein soziales Phänomen. Die sozialen Aspekte der Digitalisierung ermöglichten eine komplett neue Wirtschaft. Sie alleine brächten noch keine positiven Effekte, könnten aber neue Ziele und Wege mit sich bringen.
Sehr interessant fand ich persönlich die Unterscheidung zwischen Sharing Economy und Commons Economy. Ich kannte zwar von beiden Bereichen Beispiele, doch war mir bisher nur der Begriff Sharing Economy geläufig. Darunter versteht man die Nutzung kommerzieller Sharing-Angebote wie Carsharing, Tool Sharing, Couch Sharing oder Co-Working. Die Sharing Economy ist kommerziell ausgerichtet und setzt auf Wachstum, kompetitives Handeln und Marktwirtschaft.
Die Commons Economy hingegen ist außerhalb des Markts nicht auf Gewinn aus und hat das Motto „ich mach das selbst“: Mit der Ökonomie der Gemeingüter ist die Nutzung gemeinschaftlich erzeugter Angebote wie Repair Cafés oder Urban Gardening/ Farming gemeint. Hier liegt der Fokus auf Gemeinschaftsorientierung, kKooperatives Handeln und Civil Economy.
Abschließend rief André Reichel dazu auf, dass wir uns gemeinsam auf den Weg in eine Mitmachgesellschaft machen sollen!
Nachhaltigkeitscamp 2017: Die Sessions
Nach dem Vortrag von André Reichel konnten die Teilnehmer eigene Sessions vorstellen in Form von Vorträgen, Diskussionen oder Workshops. Insgesamt sind hierbei 20 kleine Workshops herausgekommen, in denen unter anderem Fragen der nachhaltigen Unternehmensführung, sozialen Selbstoptimierung oder digitalisierten Bildung thematisiert wurden. Sehr gerne wollte ich mich bei meinem ersten Barcamp auch direkt aktiv miteinbringen und stellte daher mich und meine Fragestellung, recht aufgeregt zum ersten Mal auf der Bühne zu stehen, vor: „Wie kann man Nachhaltigkeit indirekt in das Geschäftsmodell von Software-Plattformen integrieren?“
Die erste Session, die ich besuchte, hieß „Die Ökologie des Menschen: Der Mensch – zwischen Selbstoptimierung und Erschöpfung zerrissen?“ und wurde von Dr. iur. Katarzyna Schubert-Panecka geleitet. Sie versteht unter der Ökologie des Menschen den ausgeglichenen Umgang des Menschen mit sich selbst und mit allen anderen Lebewesen in seiner Umwelt.
Laut der Sessioninitatorin folgen viele Menschen der Illusion von der Selbstverantwortung für alles in ihrem Leben. Die geopolitischen, wirtschaftlichen wie medialen Entwicklungen zugleich erzeugen die Überzeugung, ich kann alles bestimmen, alles erreichen. Soll ich mal scheitern, dann bin ich selbst verantwortlich. „In diesem Zuge muss ich in den meisten Industrieländern vor allem eins: leisten. Leistung wird in Beziehung zur Anerkennung wie Wertschätzung gesehen und dadurch als eine Bestätigung dessen, ob meine Leistung, ergo mein Wert „stimmt“. Dagegen tendieren Menschen, die in eine Kultur der Gemeinschaft (Kollektivität) eingebettet sind, die Beziehung zu sich, zu anderen und zum Thema Leistung sozialer zu gestalten.“
Es war eine höchst interessante, anregende Session mit einer sehr lebhaften, tiefgehenden Diskussion darüber, wie wir dafür sorgen können, dass es uns in und der Welt heutzutage mit ihren vielen Eindrücken und Einflussfaktoren nachhaltig gut gehen kann. In dieser Hinsicht wurden folgende Aspekte als besonders wichtig erachtet:
- Achtsamkeit
- Wertschätzung
- Vertrauen
- Liebe
Besonders der Aspekt der Wertschätzung wurde hitzig diskutiert: Welcher Wert ist es, der geschätzt wird? Welche Werte sind uns wichtig? Klar war, egal ob beruflich oder privat, Wertschätzung sollte von innen UND von außen kommen. Auch sollten Wertschätzung, Anerkennung oder Kritik zeitnah und face-to-face geschehen. In diesem Rahmen erzählte Katarzyna Schubert-Panecka von einem interessanten Experiment, bei dem der Umgang mit Kritik geübt wurde: Im Gegensatz zu Studierenden aus Frankreich, China, Benin oder Kolumbien erwarteten deutsche Studierenden sachliches und eher negatives Feedback, bei sehr positivem waren sie überrascht und glaubten es nicht. Es sei auch sehr wichtig, auch die Bereitschaft für Kritik zu fühlen. Unter Kritik versteht sie den Unterschied zwischen IST & SOLL. Das Wichtigste hierbei sei Schubert-Paneckas Meinung nach, geduldig mit sich selbst zu sein und Resilienz (psychische Widerstandsfähigkeit) zu üben: Zu wissen, ich kann das, ich weiß, ich mach das gut, stärkt. Ähnlich sich gegenüber zuverlässig und freundlich zu sein. Dagegen möge eine Abhängigkeit von Feedback vermieden werden. Wir sind viel mehr als nur unsere Leistung!
Die Session „Digitalisierung, Nachhaltigkeit und das gute Leben“ wurde von Marius Hasenheit und Hans Rusinek vom transform Magazin gehalten. Das „Magazin für das Gute Leben“ thematisiert hauptsächlich Nachhaltigkeit und Digitalisierung mit Fokus auf vorwiegend positiven Nachrichten. Das gute Leben sei das, was man daraus macht. transformag bringt inspirierende, nicht tagesaktuelle Geschichten mit so wenigen Anglizismen wie möglich. Auch bei der Digitalisierung haben Menschen Sehnsucht nach etwas Haptischen, Lust nach Analogem. Als Printmagazin möchte es Menschen außerhalb ihrer Blase erreichen. Außerdem kämen Dinge bei Tabs nicht so gut rüber wie bei Print.
Meine eigene Session: Nachhaltigkeit in Software-Entwicklung integrieren?
Bei NETSYNO kam vor dem Event die Frage auf, wie man wohl Nachhaltigkeit in das Geschäftsmodell von Software-Plattformen und deren Entwicklung integrieren könnte? Ich freute mich über eine exklusive, aber sehr angeregte Diskussionsrunde mit Sabine (Megapart, IT-Personaldienstleister), Ricardo (Masterstudent in Bio-Ökonomie) und Géza (Studentische Hilfskraft, ITAS – Quartier Zukunft) und zwei Mitarbeitern der Hochschule, die abwechselnd die Session besuchten.
Wir erörterten zunächst eigene Beispiele, wie Nachhaltigkeit in den Unternehmen umgesetzt wird. So wurden zum Beispiel bei Megapart von allen Mitarbeitern gemeinsam „10 Prinzipien“ aufgestellt, die widerspiegeln, welche Werte im Unternehmen gelebt werden. Oder sie planen eine Betriebsfeier so effizient wie möglich, damit wenig Essen übrig bleibt. Wenn es dann doch Reste gibt, holt sie jemand vom Flüchtlingsheim oder der Tafel ab. Bei NETSYNO können wir zum Beispiel alle das Stadtmobil benutzen, was ziemlich praktisch ist und einiges umweltschonender als ein Firmenwagen.
Als Ideen für eine nachhaltige Software-Entwicklung und Betrieb wurde der Gebrauch von Strom aus 100 % erneuerbarer Energie für Büro und Server empfohlen. Weiterhin wurde besprochen, dass lieber in eine Cloud investiert werden sollte als in Rechner, die nur zu 80 Prozent herumstünden. Auch könnte man Open Source nutzen: Was nehme ich aus dem Open Source Topf raus? Was gebe ich wieder rein? Auch wurde das Beispiel Humble Bumble genannt, eine Form der digitalen Distribution mit der Kernidee, dass die Käufer den Preis für die angebotene Spielesammlung individuell selbst bestimmen.
Weiterhin wurde empfohlen, auf recycelte Geräte zurückzugreifen, wie zum Beispiel Backmarket oder rebuy. Ricardo hatte die Idee eines „Digital Footprints“: Dafür würde ausgerechnet wie sich der Footprint zusammensetzt, sprich, wieviel CO2 verbraucht wird, während man eine Software benutzt. Quasi, je weniger CO2 verbraucht würde, zum Beispiel weil man eine Software kürzere Zeit benutzt, umso besser wäre der Score. Im Prinzip war es eine interessante Idee, aber wir waren uns doch schnell einig, dass dies für die Software-Entwicklung nicht in Frage kommt, da hier das Geschäft nun einmal davon lebt, dass die Software so viel wie möglich benutzt wird.
Bei NETSYNO nutzen wir bereits heute recycelte mobile Endgeräte für das Testen unserer User Interfaces, zum Teil sind es zuvor persönlich genutzte Geräte und zum Teil gekaufte Geräte über rebuy oder goodasnew. Unseren Kunden der Plattform INOPAI bieten wir eine selbst gehostete Software as a Service Variante an, diese kombiniert die nötige Sicherheit der Daten mit der Effizenz einer Cloudartigen Serverinfrastruktur. Sehr interessant war noch der Hinweis auf den RENN – Rat für nachhaltige Entwicklung, an den man sich für Beratung wenden könnte.
Wie habe ich das Nachhaltigkeitscamp Karlsruhe erlebt?
Abschließend freute sich André Reichel: „Das Barcamp ist, was Ihr draus macht und Ihr habt etwas Tolles draus gemacht!“ Dem kann ich mich nur anschließen: Ich habe einen sehr schönen Tag mit vielen inspirierenden Eindrücken erlebt, nette, interessante Leute getroffen und endlich das Format eines Barcamps kennengelernt. Ich habe in den letzten Jahren viele Veranstaltungen besucht, bei denen zwar viele Fragen an die Speaker gestellt werden konnten, aber solch eine Interaktivität habe ich bisher noch nicht erlebt! Diese Lebendigkeit hat es mir sehr angetan, noch dazu zu Themen, die mich sehr interessierten. Ich freue mich auf weitere Barcamps und vor allem das Nachhaltigkeitscamp 2018!