Methoden des Digital Work Design

In dem derzeit häufig dargestellten Bild einer Übernahme traditioneller Arbeitsfelder durch Maschinen, entscheiden Informations- und Kommunikationstechnologien über Unternehmen und Menschen. Ein aktuelles Beispiel ist das Thema Industrie 4.0 mit seiner technologisch zentrierten Umgestaltung der Herstellungsprozesse. Der Mensch scheint in diesen Szenarien eine immer kleinere Rolle zu spielen, bis hin zum Wegfall von Arbeitsplätzen im Zuge der Digitalisierung.

Jedoch beginnen immer mehr innovative Unternehmen damit, die Bedeutung des Menschen als die flexibelste Einheit in industriellen Prozessen, wie der Produktion oder der Wartung, wiederzuentdecken und Mitarbeiter als zentrale Akteure intelligenter Fabriken zu sehen. Es ist nicht von der Hand zu weisen: Menschen besitzen Fähigkeiten, die weit über das hinausgehen, was Maschinen erreichen können. Es geht also darum, moderne Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) an die Bedürfnisse und Anforderungen von Arbeitnehmern anzupassen, anstatt Wege zu suchen, Menschen aus den Prozessen zu verdrängen.

Wie können wir Arbeit gestalten mit dem Menschen im Mittelpunkt?

Damit Mitarbeiter bei ihrer täglichen Arbeit auch wirklich eine Unterstützung durch Informations- und Kommunikationstechnik erfahren, ist es notwendig, dass Software in enger Interaktion mit den Arbeitern gestaltet wird, die sie nutzen. Das beginnt mit der Erkundung ihrer Arbeitspraktiken und der Entwicklung geeigneter digitaler Lösungen.

Um die Ist-Situation zu erfassen und zu verstehen, kann eine Reihe von qualitativen und quantitativen Datenerfassungsmethoden verwendet werden. Qualitative Methoden umfassen Beobachtungen, Fokusgruppen, lautes Denken (Thinking out loud) und Interviews. Quantitative Methoden umfassen das Erheben aktueller Prozesses auf Basis bestehender Artefakte und Umfragen.

Um die identifizierten Anforderungen an die Software in einen Kontext einzubetten und zu überprüfen, müssen die Akteure innerhalb der Prozesse beschrieben werden und wie sie ihre Arbeit derzeit ausführen. Daraus werden dann Szenarien erstellt, die Probleme im Arbeitsalltag erzählerisch dokumentieren. In Aktivitätsszenarien werden anschließend erzählerisch Lösungsansätze vorgeschlagen. Dabei ist es wichtig, alle Beteiligten mit einzubeziehen, um alle Interessensgruppen von Anfang an zu berücksichtigen sowie die Akzeptanz der Lösung innerhalb des Unternehmens zu ermöglichen. Der Lösungsansatz, das Design und die Implementierung sollten hochgradig iterativ sein und durch eine Reihe von Prototypen mit einem steigenden Reifegrad weiterentwickelt werden.

Digital Work Designer müssen verstehen, wie und warum die Dinge funktionieren, wie sie aktuell funktionieren, bevor sie eine digitale Lösung zur Unterstützung von Arbeitspraktiken bereitstellen können. Die zentrale Herausforderung des Digital Work Designers lässt sich daher in zwei Fragen aufteilen:

  1. Wie können wir aktuelle Arbeitspraktiken verstehen, um sie in digitale Arbeitspraktiken der Zukunft zu verwandeln? (Ist-Situation)
  2. Wie können wir die detaillierten Informationen in digitale Artefakte umwandeln, um die geplanten Arbeitspraktiken bestmöglich zu unterstützen und zu transformieren? (Soll-Lösungen)

Das Digital Work Design hilft, Anforderungen für die Entwicklung neuer Automationsansätze zu identifizieren und deren Implementierung in Organisationen in Hinblick auf kulturelle Veränderungen vorzubereiten. Gleichzeitig werden in den entwickelten Szenarien auch positive Aspekte sichtbar, zum Beispiel welche motivierenden (z.B. Autonomie und Aufgabenvielfalt) und sozialen (z.B. Interdependenz) Arbeitsgestaltungsmerkmale es gibt, die nicht durch die digitale Transformation verändert oder im besten Fall durch die Transformation bestärkt werden sollen.

Digital Work Design – Ein Anwendungsfall

Im Problemszenario geht um eine Situation, die in Unternehmen weltweit millionenfach am Tag passiert: Ein Werkzeugsetzer, nennen wir ihn Hans, dokumentiert am Ende der Schicht handschriftlich wichtige Ereignisse des Tages im Schichtbuch. Hans muss auch ein Schichtübergabeblatt ausfüllen, auf dem er wichtige Aspekte zu Personal, Material, Maschinen und zur weiteren Planung dokumentiert. Beide Prozesse gleichen sich stark, da fast die selben Informationen dokumentiert werden. Hans hält seine Notizen im Schichtbuch nicht für wichtig. Oft hält er die Dokumentation zu kurz oder vergisst Vorfälle zu notieren, wenn zu viel zu tun ist. Das Schichtbuch ist ein einfaches Notizbuch aus Papier, das heißt, Hans kann keine zusätzlichen Anhänge hinzufügen, wie Dokumente oder Fotos, obwohl dies für die Dokumentation fehlerhafter Teile nützlich wäre. Ähnliche Vorfälle können in dem Notizbuch nur schlecht nachgeschlagen werden und die Möglichkeit, einen gut dokumentierten Vorfall zu finden und daraus zu lernen, ist relativ gering.

Das Aktivitätsszenario zeigt, wie der Werkzeugsetzer Hans und sein Kollege wichtige Vorkommnisse dieses Mal in einem digitalen Schichtbuch dokumentieren. Die Softwarelösung enthält die Möglichkeit manuelle Eingaben wie Texte zu erstellen, welche mit durch das System generierten Informationen ergänzt werden, wie beispielsweise bei Wartungsarbeiten oder Maschinenumrüstungen. Das Schichtübergabeblatt ist zudem so in die Software integriert, dass es nicht separat ausgefüllt werden muss. Ein großer Vorteil dieser digitalen Lösung besteht darin, dass alle Einträge, Notizen und der Status abgeschlossener Aufgaben parallel zur Arbeit während der Schicht ausgefüllt werden. Der Werkzeugsetzer benötigt keine zusätzliche Zeit am Ende einer Aufgabe oder Schicht, um Dokumente zu vervollständigen. Darüber hinaus ermöglicht die Lösung ihm, die Dokumente und Fotos zu verknüpfen und so eine zusammenhängende Ansicht zu erhalten, die alle Aktivitäten und Vorfälle an einer bestimmten Maschine umfasst. Alle Informationen werden zentral gespeichert und der Teamleiter kann jederzeit auf die Daten zugreifen. So werden die Fehlersuche und Problemanalyse wesentlich einfacher und effizienter.

Dieser Artikel ist im Rahmen des Forschungsprojekts Facts4Workers, in welchem unser Geschäftsführer Jonathan Denner mitarbeitet, entstanden und ist eine direkte Ableitung aus dem wissenschaftlichen Veröffentlichung:
Richter, Alexander & Heinrich, Peter & Stocker, Alexander & Schwabe, Gerhard. (2018). Digital Work Design: The Interplay of Human and Computer in Future Work Practices as an Interdisciplinary (Grand) Challenge. Business & Information Systems Engineering. 60. 10.1007/s12599-018-0534-4. Zum Download geht es HIER.

Bei Fragen und Anregungen rund um das Thema “Digital Work Design” freut sich Jonathan Denner über Ihre Nachricht an info@netsyno.com.