Der Autorin Sibylle Berg ist mit ihrem aktuellen Roman „GRM – Brainfuck“ etwas Besonderes gelungen: Eine packende, sehr trockene und auf den Punkt gebrachte Gesellschaftskritik in Zeiten von Digitalisierung, Globalisierung, Kapitalismus und Populismus. Es folgt eine Rezension des Buches unseres Kollegen und Geschäftsführers Jonathan Denner.
Vorne weg
Warum besprechen wir auf unserem Unternehmensblog eine Rezension zu einem gesellschaftskritischen Roman? Wir bei NETSYNO arbeiten an der Schnittstelle der drei genannten gesellschaftlichen Entwicklungen (Digitalisierung, Globalisierung und Kapitalismus) und positionieren uns entschieden gegen den vierten Trend des Populismus. Wir interessieren uns neben den wirtschaftlichen und technischen Möglichkeiten, ebenso für die Auswirkungen dieser Phänomene auf die Gesellschaft und unsere Arbeitswelt. Das Buch von Sibylle Berg ist eine Möglichkeit, sich mit den Auswirkungen in gar nicht so ferner Zukunft auseinander zu setzen und den Status quo zu hinterfragen.
Zum Inhalt
Sibylle Berg legt mit GRM einen Roman vor, der nahtlos an Werke wie zum Beispiel 1984 (George Orwell) oder Brave New World (Huxley) anknüpfen kann und doch ganz anders ist. Gemeinsam haben die drei Werke, dass sie ein dystopisches Bild einer Gesellschaft zeichnen, die von einer Minderheit dominiert wird.
Das besondere an GRM ist, dass dieser Roman fast im hier und heute anfängt. Die Geschichte könnte 2025 in Großbritannien starten und gegen 2035 enden. Sibylle Berg führt die aktuellen Trends bezüglich Digitalisierung, Globalisierung, Kapitalismus und Populismus „nur“ fort und die Richtung ist nicht jene, die wir uns für unsere Gesellschaft wünschen, jedoch ist es eine denkbare Richtung, die für wenige Menschen durch aus von Interesse sein könnte. Die beschriebenen Technologien sind heute bereits bekannt und im Einsatz, wie z.B.
- Social Media: „Thomes Blick streift die Social-Media-Jungs. Technisch uninteressant, aber sie haben 50 Prozent der neuen Weltordnung zu verantworten. Memes haben die Wucht eines Atomschlags. Bots können Staaten kollabieren lassen, Aktien in den Keller schicken, Firmen zum Untergehen bringen–darum: Respekt, Jungs.“ (Seite 406)
- Künstliche Intelligenz: „In dem Jahr, in dem die künstliche Intelligenz die ersten Schritte in ihre eigene tapsige Kreativität unternahm, verlor die Menschheit ein weiteres denkendes Mitglied.“ (Seite 142)
- Neuromorphe Chips & Biometrische Erfassung: „Es waren neuromorphe Chips, die, im guten Fall, implantiert Teile der Netzhaut ersetzen können. Aber zunächst einmal wurden sie zur biometrischen Gesichtserkennung verwendet und so weiter.“ (Seite 148)
Im Roman begleiten die Leser vier Kinder auf ihrer Reise von Rochdale (UK), aktuell Platz 6 der „depressivsten Orte“ in Großbritannien, nach London. Die vier Kinder erleben neben vielen persönlichen Entwicklungen und Rückschlägen einige gesellschaftliche Neuerungen, die ebenfalls nicht so unbekannt sind, z.B. die Einführung bzw. der Anfang
- eines Grundeinkommens: „Jede Bürgerin, jeder Bürger des Landes Mit einem gültigen britischen Pass Ein Grundeinkommen, Das an keinerlei Bedingungen geknüpft war, Erhalten.“ (Seite 252). Experimente zum Grundeinkommen gab es in jüngster Vergangenheit in Finnland.
- eines Sozialpunkte-Systems: „Hat man eine gewisse Anzahl Pluspunkte, bedeutet das geldwerten Vorteil, der dem Grundeinkommen zugerechnet wird. Hat man null Punkte oder gar Minuspunkte, ist mit einem Shitstorm zu rechnen […].“ (Seite 281). Sehr nahe dran an dieser Beschreibung ist das Sozialkreditsystem in China.
- eine großflächige Implantierung von Mikrochips bei Menschen: „Das Gesicht wurde an die Datenbank übermittelt, in Sekundenbruchteilen ein Chip mit den Daten des Betreffenden geladen. […] An Infoständen klärte geschultes Personal über die Einsatzmöglichkeiten der sensationellen neuen Technik auf. Sie sprachen weniger von den persönlichen Informationen, die nun sogar erfassbar waren, wenn eine Zielperson sich außerhalb des Einzugsbereichs einer biometrischen Gesichtserkennung aufhielt und ohne Handy und Personalausweis unterwegs war.“ (Seite 233). Erste Trends in diese Richtung sind aus Schweden bekannt.
- der Erosion demokratischer Strukturen: „Wenn man mit den Mitteln der Demokratie das Vertrauen in die Demokratie vollkommen pulverisiert, also absolute Volltrottel in hohe Positionen bringt, Bürgerkriege initiiert, die sogenannten Guten gegen die sogenannten Bösen aufhetzt, mit den Mitteln des Nudgings, der Manipulation ihrer verdammten Gehirne durch Endgeräte, soziale Medien, falsche Informationen nutzt, wenn man die Presse komplett unglaubwürdig macht, wenn man Brutalität, Nazis, Dummheit und Faschismus fördert, kurz–ein irrsinniges Chaos anrichtet […].“ (Seite 113). Hier fühlt man sich als Leser an den kommenden Rechtspopulismus in Europa erinnert: https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtspopulismus/240093/rechtspopulismus-im-europaeischen-vergleich-kernelemente-und-unterschiede.
Vor diesem gesellschaftlichen und technischen Hintergrund spinnt Sibylle Berg eine packende Geschichte, deren Ende so gar nicht überraschend und doch anders ist als gedacht. Einen ersten Eindruck was die Leserinnen und Leser erwartet der Trailer zum Buch:
Eine Reihe von ausgewählten Zitaten finden Sie mit freundlicher Genehmigung der Autorin auf Twitter unter Tweets zu #GRM von Jonathan Denner.
Fazit
Der Roman ist stellenweise sehr bedrückend, z.T. humoristische bis zynisch und meistens kurzweilig. Die gesponnene Geschichte knüpft an die Lebensrealität von Jugendlichen in vergessenen Vierteln von europäischen (Groß)Städten an, in so genannten sozialen Brennpunkten, und führt diese Realität fort. Sibylle Berg präsentiert in ihrem Roman eine mögliche Version von „morgen“, die Fragen aufwirft:
- Welche Rahmenbedingungen müssen wir schaffen, um die technischen Möglichkeiten in den Dienst der Gesellschaft und nicht in den Dienst weniger zu stellen?
- Welchen Einfluss haben Social Media und fortschreitende künstliche Intelligenz auf Wahlen?
- In welcher Form werden wir arbeiten, mit und ohne Maschinen?
- Welche Verantwortung trägt „der Programmierer“?
Gerne treten wir zu diesen Themen in Diskurs und gestalten gemeinsam Lösungsvorschläge für diese wichtigen Fragen. Denn an einem Punkt möchten wir Sibylle Berg dann doch widersprechen:
„Der Programmierer ist einfach nicht an Menschen interessiert. Der Programmierer liebt Problemlösungen. Er liebt es, Probleme zu lösen, die es ohne die Entwicklungen, an denen er maßgeblich–und er betont beim Denken das Wort maßgeblich–beteiligt ist, nicht gäbe.“ (Seite 494)
Wir bei NETSYNO, und viele unserer Kolleginnen und Kollegen im Netzwerk, sind am Wohl unserer Mitmenschen interessiert. In diesem Sinne wünschen wir eine kritische Lektüre und wünschen uns das als bald eine Autorin eine Utopie vorlegt, welche die beschriebenen Megatrends im Wohle der Gesellschaft fortführt.
Wer zu diesem Thema Interesse an einem Austausch hat, ist herzlich eingeladen, in Kontakt mit Jonathan Denner zu treten, zum Beispiel per Mail an jd@netsyno.com oder via Twitter (@zettel_kasten).